Der Fontanelle Friedhof ist ein historischer Friedhof innerhalb des Viertels Sanità in der Stadt Neapel und eines des faszinierendsten und intimsten Erlebnisse mit einem Totenkult, den man bei einem Besuch am Golf von Neael machen kann. Dieser abgelegene Bereich des Viertels Sanità trägt den Namen Fontanelle da hier früher eine Vielzahl von Wasserquellen aktiv waren und ist heute ein Arbeiterviertel der Baubranche und der weniger Wohlhabenden. Auf der Via Fontanelle sind eine grosse Anzahl von Höhlen zu sehen, in denen bis ins 19. Jahrhundert hinein der Tuffstein als Baumaterial abgebaut wurde. Der Fontanelle Friedhof befindet sich in einer dieser Höhlen und hat eine Gesamtfläche von etwa 3000 Quadratmetern. Hier werden seit mindestens 4 Jahrhunderten die Überreste von Verstorbenen aufbewahrt, die sich keine ehrwürdige Bestattung leisten konnten.
Der Ursprung
Bis ins 16. Jahrhundert wurden die Verstorbenen der Stadt Neapel in den Kirchen bestattet. Durch den starken Bevölkerungswachstum in einer Zeit in der sich Neapel zu den grossen Städten der Welt entwickelte, fehlte es in den Kirchen an Raum so das die alten Reliquien aus den Kirchengräbern in die Höhlen wie die des Fontanelle-Friedhofs verlegt wurden. Das Jahr in dem die aktuelle Höhle zum Fontanelle Friedhof wird ist das Jahr der schwarzen Pest 1656, bei der ca. 250000 Menschen und somit über die Hälfte der Bevölkerung Neapels den Tod finden wird. Weitere Epidemien, Volksaufstände und das Erdbeben von 1688 werden in jenem Jahrhundert weitere Tote fordern und den Friedhof füllen.
Das Edikt von Saint-Cloud und der Knochentransport
Der Architekt Carlo Praus berichtet im Jahr 1764 von einer viele Menschenleben fordernden Hungersnot, bei der der Fontanelle Friedhof als öffentlicher Friedhof für die Armen des Volks verwendet wurde, die sich keinen Platz in den Kirchen leisten konnten. Der Architekt präsentiert im Jahr 1810 unter der Herrschaft von Murat, 6 Jahre nach dem Edikt von Saint-Cloud, das Projekt für einen grossen Friedhof in dem die Nekropole der Fontanelle erweitert wird. Die Cholera Epidemie des Jahres 1837 fordert weitere Todesopfer, doch besonders das Verbot des gleichen Jahres Reliquien in den Kirchen aufzubewahren führt dazu das eine immense Menge von menschlichen Überresten auf bewachten Kutschen in den Fontanelle Friedhof gebracht werden.
Die Ordnung durch Don Gaetano Barbati
Im Jahr 1872 sortiert der Stiftsherr Don Gaetano Barbati, für manche fälschlicherweise als ein Priester des Viertels Materdei gehalten, mit Hilfe von vielen Frauen aus dem Volk die Knochen so wie wir sie heute noch sehen. Unter Aufsicht des damaligen Kardinals Sisto Riario Sforza werden die Reliquien nach Körperteil sortiert (Schädel, Becken, Schienbeine) und in der ersten Höhle eine provisorische Kirche eingerichtet. Dabei sind alle Reliquien anonym bis auf die beiden Skelette von Filippo Carafa Herzog von Cerreto Sannita gest. 1797 und seine Ehefrau Donna Margherita Petrucci gest. 1795, die beide in Särgen mit einer Glaswand aufzufinden sind. Heute sind im Fontanelle Friedhof die Knochen von 40000 Menschen zu sehen wobei man allerdings weiss das sich unter dem aktuellen Fussboden noch mindestens 4 Meter tief zigtausende von Menschen begraben liegen. Die Ordnung der Reliquien des Barbati folgt einer klaren Einteilung:
- Auf dem linken Gang (Navata dei Preti) hinter der Kirche wurden die Reste aus den Kirchen und religiösen Orden gesammelt
- Im zentralen Gang (Navata dei Appestati) liegen die Reliquien der Opfer der verschiedenen Epidemien
- Im rechten Gang (Navata dei pezzentelli) liegen die Knochen der Armen, die sich kein Grabmahl leisten konnten.
Die Schliessung und die Wiedereröffnung im Jahr 2010
Im Juli 1969 wird der Fontanelle Friedhof durch ein ekklesiastisches Dekret vom damaligen Kardinal Corrado Ursi geschlossen, da es Sorge um die Verbreitung des Kults der anime pezzentelle (Die Seelen der Armen) innerhalb der Bevölkerung gab. Dieser Aberglaube war nicht mit der katholischen Lehre des vatikanischen Konzils zu vereinbaren und so erlaubte man nur noch eine Messe im Monat um den Seelen im Fegefeuer zu huldigen und die Öffnung an jedem 2. November des Jahres zu Allerseelen. Nach einer Sicherstellung des Friedhofs im Jahr 2002 und der alljährlichen monatlichen Öffnung zum Mai der Monumente gibt es 2010 eine friedliche Besetzung der Bewohner des Viertels Sanità woraufhin der Fontanelle Friedhof wieder das ganze Jahr über zu besichtigen ist.
Die Kirche im Fontanelle Friedhof
Die von Barbati eingerichtete Kirche ist auf dem linken Flügel des Eingang zum Anfang des linken Ganges zu besichtigen. In ihr ist auf der rechten Seite eine Reproduktion des Grotte von Lourdes mit einer Skulptur der heiligen Bernadette und der unbefleckten Mutter Gottes zu sehen. Auf der rechten Seite ist weiterhin ein liegender Christus nach dem Modell des verschleierten Christus der Kappella Sansevero zu sehen. Auf dem Hauptalter wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine lebensgrosse Krippe mit Josef und Maria aufgestellt, die auch in der faszinierdenden Beschreibung von Roger Peyrefitte zu lesen ist. Unter dem grossen Fenster sind zwei Särge aufgestellt, in denen die Knochen verstorbener Kinder gesammelt wurden.
Besondere Bereiche
Innerhalb des Fontanelle Friedhofs sind weitere Sonderbereiche zu sehen. Der Knochenberg mit dem Holzkreuz ist das sogenannte Tribunal in der angeblich die Guappi (Die vorlauten Bosse des Viertels Sanità) ihren Eid leisten mussten. Die im Schrank eingesetzt Knochensammlung im zentralen Gang zeigte ursprunglich eine Skulptur der Auferstehung Christi. Im letzten Anthrum im rechten Gang sind noch die Sitze zu sehen, auf denen man die Leichname wie in den Katakomben von San Gaudioso austrocknen liess. In diesem Bereich sind auch noch die Löcher zu sehen, die von den Steinhauern verwendet wurden um den Tuffstein zu fördern.
Der Kult der Seelen der Armen (anime pezzentelle)
Ein interessanter Kult der die Verbindung eines Teils der Bevölkerung Neapels mit dem Tod und einer direkten Anbetung sowie eine Verbindung mit dem überirdischen aufzeigt ist der sogenannte Kult der anime pezzentelle (der Seelen der Armen), an den sich noch ein grosser Teil der Bevölkerung Neapels erinnert. Bis noch vor wenigen Jahrzehnten gab es im Fontanelle Friedhof den Brauch, das ein Gläubiger einen Schädel aus dem Friedhof auswählte und ihn adoptierte, in dem er ihn pflegte und für ihn betete um als Tausch eine Bitte abzugeben. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Friedhof jeden Montag geöffnet um der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben einen direkten Kontakt mit der Seele des Verstorbenen aufzunehmen. Dabei wurde der ausgewählte Schädel gesäubert, auf ein handgestricktes Tuch gelegt und mit Blumen, Lichtern und einem Rosenkranz bedacht. Nach etwas Zeit wurde das Tuch mit einem ornierten Kissen getauscht damit die Seele des Schädels sich nach viel Zuwendung im Traum zeigen wollte. Die Seele fragte nach der Volkstradition nach Gebeten und Zuwendung (im neapolitanischen Refrisco, also eine Erfrischung) um die Qualen des Fegefeuers zu erleichtern.
Die Bitte an die Seele des Armen
Im Gegensatz konnte man die Seele zum Beispiel nach einem kleinen Wunsch oder auch den Nummern für einen Lottogewinn fragen. So war es nicht selten das ein Schädel aus Enttäuschung verlassen wurde um sich einen anderen zu suchen. Wenn hingegen der Wunsch in Erfüllung ging wurde dem Schädel zum Dank je nach Vermögen eine Kiste, Vetrine odereine Schachtel zur Aufbewahrung spendiert. Die Schädel wurden nie mit einem Grabstein versehen um eine Kommunikation im Traum zwischen dem Lebenden und dem Toten nicht zu unterbinden und so mehr über die Identität und die Lebensgeschichte des Toten zu erfahren. Der devote kehrte daraufhin zum Toten zurück um seinen Traum zu erzählen. Wenn die Seele eines Schädels als besonders grosszügig galt kamen nicht selten auch weitere Besucher des Friedhofs zur Verehrung des Schädels hinzu. Das Schwitzen eines Schädels, besonders intensiv am sogenannten Schädel der Concetta zu sehen, galt als gutes Zeichen für die Annahme einer Bitte, während Trockenheit mit Leiden und einer bösen Seele in Verbindung gebracht wurde.
Starke Verbreitung während und nach dem zweiten Weltkrieg
Dieser Kult wurde vorallendingen während und nach dem zweiten Weltkrieg in einer Zeit der Verzweiflung ausgeübt, in der getrennte Familien getrennt, verlorenen Verwandte, zerstörte Wohnungen oder auch Hungersnöte normal waren. In einer Zeit wo es schwer war Hilfe von Lebendigen zu bekommen, wandte man sich praktisch an das Reich der Toten und Seelen um ein wenig Hoffnung zu finden, sein Leiden zu teilen und nach etwas Glück und Hoffnung zu suchen.
Erleben Sie mit mir oder einem meiner qualifizierten Kollegen die Stadt Neapel bei einer Führung. Gerne können Museen, Kirchen oder andere Besonderheiten individiduell ins Programm eingefügt werden.
Weitere Informationen zu den Monumenten der Stadt Neapel finden Sie auch in der Kategorie in meinem Blog.