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Neapel und Kampanien in der Literatur

Axel Munthe über die Vorliebe zur Madonna in Neapel

„Ein paar Priester, Mönche oder frati saßen immer auf den Stühlen am Zahltisch in lebhaftem Gespräch über Tagesereignisse, die neuesten Wunder dieses oder jenes Heiligen und die Wirksamkeit der verschiedenen Madonnen, die Madonna del Carmine, die Madonna del Ajuto, die Madonna della Buona Morte, l’Addolorata, la Madonna Egiziaca.

Selten, sehr selten hörte ich den Namen Gottes nennen, den Namen seines Sohnes nie. Einmal wagte ich es, einem schäbigen alten Frate, der mein besonderer Freund war, mein Erstaunen auszusprechen, daß in ihren Gesprächen Christi Namen nie vorkäme. Der alte Frate machte aus seiner persönlichen Meinung kein Geheimnis, daß Christus nie jemanden vor der Cholera gerettet. Seine heilige Mutter hatte sich die Augen ausgeweint seinetwegen. Was hatte er seinerseits für sie getan?

“Weib”, sagte er, “was habe ich mit dir zu schaffen?”

“Perciò ha finito male! Deshalb nahm es auch ein schlimmes Ende mit ihm.”“

Axel Munthe, 1929

Axel Munthe ( geb. 1857 in Oskarshamn- gest. 1949 in Stockholm) war ein schwedischer Schriftsteller, Psychiater und Arzt, der sich im jungen Alter in die Insel Capri verliebt um dort die berühmte Villa San Michele errichten zu lassen. Als junger Arzt hilft er während der Cholera-Epidemie in Neapel aus und wird bis heute von der lokalen Bevoelkerung sehr geschätzt. Der Mutter-Kult in Italien hat wohl antike Wurzeln, wie auch im Museum von Capua mit der Verehrung der Mater Matutae zu erkennen ist. In dieser kleinen Anekdote aus Neapel beschreibt er die Tendenz Italiens besonders die Madonna zu verehren: der Frate scheint überrascht vom undankbaren Benehmen des Sohn Gottes gegenüber seiner Mutter.

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Neapel und Kampanien in der Literatur

Anton Tschechow auf dem Vesuv

Anton Tschechow, An die Familie, Neapel, 7. April 1891

„Gestern war ich in Pompeji und habe es besichtigt. Das ist, wie ihr wißt, eine römische Stadt, die im Jahre 79 n. Chr. Geb. von der Lava und Asche des Vesuvs verschüttet wurde. Ich ging durch die Straßen dieser Stadt und sah die Häuser, Tempel, Theater, Plätze…Ich sah sie und staunte über das Vermögen der Römer, Einfachheit mit Bequemlichkeit zu verbinden.

Nach der Besichtigung von Pompeji aß ich in einem Restaurant, danach beschloß ich, den Vesuv zu besteigen. Stark befördert hatte diesen Entschluß der ausgezeichnete Rotwein, den ich getrunken hatte. Bis zum Fusse des Vesuvs mußte man reiten. Aus diesem Grunde fühlte ich mich an einigen Stellen meines vergänglichen Körpers so, als wäre ich in der dritten Abteilung gewesen und dort verprügelt worden. Was für eine Qual, den Vesuv zu besteigen!

Der Vesuv und Torre Annunziata auf einer Postkarte, 1891

Asche Lavaberge, erstarrte Wellen geschmolzener Mineralien, Gesteinsbrocken und aller möglicher Dreck. Man tut einen Schritt vorwärts – und einen halben Schritt zurück, die Fußsohlen tun einem weh, das Atmen wird schwer…Man geht, geht, geht, aber bis zum Gipfel ist es noch weit. Man denkt: solltest du nicht lieber umkehren? Aber umzukehren wäre peinlich, die andern würden einen ja auslachen. Der Aufstieg begann um Zwei ein Halb Uhr und endete um Sechs.

Der Krater des Vesuvs hat einige Sazen im Durchmesser. Ich stand an seinem Rand und sah hinunter wie in eine Tasse. Der Boden, ringsum mit einem Anflug von Schwefel bedeckt, raucht stark. Aus dem Krater quillt weißer, stinkiger Rauch, fliegen Spritzer und glühende Steine, und unter dem Rauch liegt Satan und schnarcht. Ein ziemlich vermischtes Geräusch: man hört die Brandung von Wellen, hört den Himmelsdonner, das Pochen von Eisenbahnschwellen und das Krachen fallender Bretter. Es ist furchterregend, und zugleich möchte man hinunterspringen, direkt in den Schlund. Ich glaube jetzt an die Hölle.“

Anton Pawlowitsch Tschechow war ein russischer Schriftsteller, Novellist und Dramatiker und einer der bedeutendsten Autoren der russischen Literatur.

In diesem Brief beschreibt Tschechow den in jener Zeit noch aktiven Vesuv, der eine sehr irreguläre Aktivität hatte. Eine interessante Zeitaufnahme über die Anstrengungen, die die Besucher auf sich genommen haben um die Faszination des aktiven Vulkans zu erleben und die Auswirkungen auf Tschechow, die in ihm eine Mischung aus Anziehung und Furcht auslösen. Ob nicht auch der intensive lokale Wein teilweise bei seinen Gefühlen mitgewirkt haben könnte?

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Neapel und Kampanien in der Literatur

Ferdinand Gregorovius über Freiheit und Dispotismus in Neapel

„Ich stand lange auf der Balestrade oben in San Martino und horchte nach Neapel hinab. Wenn dieses Volk, dachte ich, schon in der alltäglichen Regung seiner Tätigkeit, in der ganz gewöhnlichen Stimmung seiner Lebensempfindungen die Lüfte mit solchem Schall erfüllt, wie erst muss es tosen, wenn es im Schmerz und in der Wut aufschreit, wenn diese hunderttausend Lazzaroni im Strassenkampf lärmen oder nach Beute schreien – wie sie es nach dem 15. Mai 1848 getan haben, da sie scharenweise hinter dem Wagen des Königs Ferdinand herliefen und Plünderungsfreiheit begehrten. Mir ezählten Leute, welche in der Märznacht Berlin aufschreien hörten – es soll gar grausig sich angehört haben, selbst in Berlin, wo es im Verhältnis mehr Geheimräte gibt als Lazzaroni in Neapel.

Doch alles bewegt sich hier fröhlich, friedlich und selbst in der buntesten Unordnung dennoch geordnet. Einzelne wie ganze Klassen, ob sie sich tausendfach durchkreuzen, gehen wie die Ameisen in ihrem Staat in gewohnten Richtungen, auf bekannten Geleisen. Das ungeheure Leben zirkuliert hier wie das Blut; uns scheint dieser Pulsschlag bis zur wahnsinnigen Aufregung fieberhaft, und doch ist er normal und geregelt.

Die Revolution und die moralische Niederlage der jüngsten Jahre ist ganz spurlos an Neapel vorübergegangen. Das Leben hat ihre Erscheinung hinweggeflutet, und kaum wüsste man von ihr, wenn man nicht von Wohlmeinenden gewarnt würde, in Reden vorsichtig zu sein und die Spione zu scheuen, die allerorten umherwandern, und wenn man nicht zufällig einige verwüstete Häuser und Paläste bemerkte, namentlich auf Medina und Monte Oliveto, wo die Kanonen das Castello nuovo schonungslos gefeuert haben. Nun ist es dem Fremden auch unverwehrt, spitzen Hut und spitzen Bart zu tragen, seitdem die französische Gesandtschaft für einen Schimpf Genugtuung velangt hat, der einem französischen Untertan in Neapel widerfuhr. Die Polizei hatte ihn auf der Strasse aufgegiffen und ohne weitere Umstände in eine Barbierstube gebracht, wo ihm von Staats wegen der Spitzbart abrasiert wurde. Neapolitanischen jungen Leuten begegnet es, das sie das Verbrechen eines revolutionären Hutes und Bartes auf irgendeinen Verbannungsort, einer Insel oder einem Kastell, abbüßen, wie ein Staatsgefangener selbst in Pozzuoli mir erzählte…

Und nirgends auf der Welt lässt sich wohl Despotismus leichter ertragen als in Neapel, denn diese unverschöpflichen Schätze der Natur sind nicht zu zerrütten, dieser Boden ist nicht auszusaugen, dieser Himmel macht alle Lebenstätigkeit öffentlich und lässt der Sitte eine fast schrankenlose Freiheit. Die Natur gleicht hier alles aus, sie ist nirgend demokratischer als in Neapel. Wer kann diese Magna Charta der Freiheit je vernichten? Es war mir für das Wesen Neapels folgende Erscheinung immer charakteristisch: um die Mittagszeit liegen im Porticus der glänzendsten Kirche Neapels, des Doms San Francesco di Paola, im Angesicht des königlichen Schlosses, stets hundert und aberhundert Lazzaroni ausgestreckt und schlafen, in unschönen Gruppen, mit zerrissenen Wämsern diese Säulenhalle keineswegs verzierend. Ich dachte, sie betrachtend, an jene Lazzaroni des alten Roms, die wohl auch so in den Säulenhallen des Pompejus und des Augustus Siesta hielten, nur hatten sie Getreidemarken in der Tasche, und diese haben keine. In jeder anderen Residenz Europas würde die Polizei solche Schläfer sicher von den Stufen des Doms und aus dem Angesichte des Schlosses hinweggefegt haben. Hier schlafen sie den ruhigsten Schlaf, und vor ihnen schreiten, wie vor einer selbstverständlichen und ganz natürlichen Erscheinung, die Schildwachen achtlos auf und ab, welche an den beiden Reiterstatuen Karls III. Und Ferdinands I. schildern….

Die Neapolitaner sind stattliche Soldaten, trefflich gekleidet, militärisch gehalten, aber man merkt ihnen an, daß sie nur Soldaten scheinen, daß sie gleichsam ein theatralisches Militär sind.“

Ferdinand Gregorovius

(Um 1850)

Ferdinand Gregorovius (1821-1891) war ein deutscher Philologe und Historiker und bekannt für seine Studien über das Mittelalter in Rom. Seine “Wanderjahre in Italien” beschreiben in 5 Bänden (1856-1877) die verschiedensten Orte Italiens, unter anderem auch Capri und Neapel.

Seine Reisen im reifen Alter durch Neapel folgen nicht dem typischen Schema der Grand Tour, sondern eher einer intellektuellen Auswanderung, die in Italien in den vorherigen Jahrhunderten eher für Künstler typisch war.

Dieser Bericht aus Neapel um 1850 ist eine interessante Zeitaufnahme, 10 Jahre vor dem Einzug Garibaldis und der für Neapel schwierigen Vereinigung Italiens, in dem die Zustände unter dem konservativen borbonischen König Ferdinand II beschrieben werden und laut Gregorovius scheinbar mit der neapolitanischen Theatralik und dem Einfluss der mächtigen Natur zu kontrastieren scheinen. Die Vergleiche zu Rom und die Sensibilität zu den verschiedenen Eigenheiten, unter anderen zeitlichen Voraussetzungen, scheinen auch durch Goethe beeinflusst zu sein.

Bei den Texten Gregorovius überwiegen oft die literarische und kreative Ader im Vergleich zu den puren deutschen Historikern der italienischen Geschichte jener Zeit wie Mommsen oder Leopold von Ranke.

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Neapel und Kampanien in der Literatur

Walter Benjamin über die Handelslust der Neapolianer

“Von der verspielten Handelslust der Neapolitaner gibt es hübsche Geschichten. Auf einer belebten Piazza entgleitet einer dicken Frau ihr Fächer. Hilflos sieht sie sich um; selbst ihn aufzuheben, ist sie zu unförmig. Ein Kavalier erscheint und ist bereit, für fünfzig Lire diesen Dienst zu leisten. Sie verhandeln, und die Dame erhält den Fächer für zehn.”   Walter Benjamin, 1924

Weihnachtszeit in der Pignasecca, zentraler Markt unweit der Alstadt von Neapel

Benjamin erzählt eine sympathische Anekdote, die er in Neapel auffängt. Die 1920er Jahre in Neapel, über 50 Jahre nach der Vereinigung Italiens, war eine Zeit der grossen Armut und Auswanderung in die Usa. In diesem Kontext tritt die für Neapel typische Überlebenskunst und Handelslust ins Spiel: auf einer Seite der Kavalier, der sofort versucht aus dem Missgeschick der alten Dame Geld einen Verdienst zu schlagen. Auf der anderen Seite die unförmige Dame, die sich nun gezwungenermassen auf einen Handel einlassen muss und es schafft, den Preis von fünfzig auf zehn Lire runterzuhandeln.

Walter Benjamin war ein deutscher Kunstkritiker und Philosoph der Frankfurter Schule. Im Jahr 1924 und 1925 verbringt er im Alter von 32 Jahren zusammen mit Theodor Adorno, Siegfried Kracauer und Alfred Sohn-Rethel mehrere Monate am Golf von Neapel. Der Golf von Neapel und die Amalfiküste waren in jenen Jahren ein beliebtes Reiseziel besonders von deutschen, englischen und russischen Philosophen und Künstlern, die hier Inspiration und Ruhe suchten.

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