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Neapel und Kampanien in der Literatur

Totò und seine Berufung als Komiker

Erzählen ist nicht meine Sache. Ich bin ein stummer Komiker. Ich ging immer von zehnminütigen Szenen aus, die ich auf der Bühne improvisierte, so dass sie mitunter bis zu drei Viertelstunden dauerten. Man sagt, ich hätte ein trauriges Gesicht. Doch es ist nicht traurig, es ist einfach schief, denn ich hatte mir einmal das Nasenbein gebrochen. Mit diesem traurigen Gesicht belustigte ich viele, erntete echtes Lachen, und – ohne falsche Bescheidenheit – die Leute lachen noch heute. Ich werde euch den Grund verraten. Wahre Komik hat immer etwas Makabres und Tragisches. Meine Komik ist von dieser Art. Nichts reizt mehr zu Lachausbrüchen, ja ungehaltenen Anfällen tollen Gelächters als ein Begräbnis, das doch Schauspiel des Todes ist…

Totò mit Peppino di Filippo beim Espresso trinken

Alles, was ich bin, schulde ich Totò. Wenn ich ihm nicht eines Tages auf der Strasse begegnet wäre und ihn als meinen Freund fürs Leben erkannt hätte, Gott weiss, welchen Lauf mein Schicksal genommen hätte. Bin ich der Vetter von Pulcinella, der Enkel von Arlecchino? Ich habe es nie gewusst, obgleich in allen Tonarten über Totò geschrieben wurde. Gewiss ist, dass er ein sehr ernsthafter Spassmacher ist, der wie alle Spassmacher, die etwas auf sich halten, die Vernunft versteckt. Zusammen sind wir durch dick und dünn gegangen. Bei unserer ersten Begegnung beschwor er mich, keine Zeit zu verlieren, da ich genau das Gesicht hätte, das er suchte. Er prophezeite, dass ich ihn begleiten würde, da es unser Schicksal sei, eines Tages gemeinsam Hungers zu sterben. So war ich also der erste Zuschauer Totòs, mein eigener Zuschauer.

“Du wirst sehen, das Publikum wird uns am Ende ins Herz schliessen, denn wir werden ihm grosses Vergnügen bereiten”.

Antonio de Curtis (geb. 1898 in Neapel und gest. 1967 in Rom), unter dem Künstlernamen Totò bekannt, war ein neapolitanischer Künstler und vielleicht der beliebteste Komiker des italienischen 20. Jahrhunderts. Totò wächst im volkstümlichen neapolitanischen Stadtviertel Sanità auf und ist bereits als Schüler für seine mangelnde Lust am Lernen und seine Vorliebe für Imitationen bekannt. Innerhalb Italiens als “Prinz des Lachens” bekannt, nimmt er an fast 100 Kinofilmen, Tv-Sendungen und über 50 Theaterstücken teil. Sein Einfluss auf die italienische Kultur ist heute von vielen anerkannt worden.

Weitere Berichte und Zitate über Neapel und die Region findet ihr in meinem Blog.

Hier ein Video mit einigen lustigen Szenen (leider nur auf italienisch):

https://www.youtube.com/watch?v=0ibMUyQZTs4

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Neapel und Kampanien in der Literatur

Lambiase und Neapel als Wehrmachtslazarett

Schnell wird die Stadt für die Deutschen zum Kriegslazarett, auf halber Strecke zwischen Berlin und der afrikanischen Küste ideal gelegen, fernab der grossen europäischen Kriegsschauplätze. Abgesehen von ihrem Dreck ist sie aussergewöhnlich einladend, herzlich, ja geradezu dienstfertig. Bereits in den Jahren 1940-41 wimmelt es in der Stadt von deutschen Soldaten und Offizieren, es gibt eine Ortsgruppe der Nationalsozialistischen Partei, eine Zelle der Hitlerjugend, eine italo-germanische Vereinigung, die im Bereich der Kulturpropaganda eine fieberhafte Aktivität entwickelt. Für Minister und Parteileiter des Reichs, die Italien besuchen, ist Neapel Pflichtetappe. Ihre Ausflüge nach Capri, Pompeji, Sorrent, usw. sind Teil einer touristischen Gepflogenheit, die mit Goethe ihren Anfang genommen hatte. So kommen alle in der stillschweigenden Absicht hierher, so lange wie möglich zu bleiben. Es wird heimlicher Wunsch zahlreicher deutscher Soldaten, zur Genesung, ja selbst zum Sterben nach Neapel zu kommen. Man errichtet eine Luftbrücke zwischen der kyrenäischen Front und der Stadt. Auf dem Flughafen finden die “Gäste” eine fahrbare Erste-Hilfe-Station vor. Wer Aussicht auf Gesundung hat, den lockt die Fata Morgana Capri oder Sorrent…In Capri werden die Kriegsversehrten äusserst zuvorkommend aufgenommen. Natürlich verleihen die Nazis dem Ereignis höchste Feierlichkeit, um den Rang zu unterstreichen, den sie der Insel nicht nur heute, sondern auch in Zukunft einzuräumen gedenken. Vor ihrer Rückkehr nach Deutschland besichtigen die Kriegskrüppel Pompeji. Auf Fotografien dieser Zeit zeigt sich die beinahe symbolische Beziehung, die die Deutschen zu ihrem Gastland haben. Keine Beziehung zu lebendigen, sondern eine zu “toten” Dingen: leere Strassen und herrliche archäologische Landschaften, auf denen die Augen des verstümmelten Offiziers auf der Tragbahre verweilen.

Sergio Lambiase, 1978

Die vier Tage von Neapel, Bild aus dem Film von Nanni Loy

Sergio Lambiase ist ein in Neapel lebender und arbeitender Schriftsteller, Journalist und Regisseur. Dieser Text ist ein Auszug aus seinem ersten bekannten Werk “L’odore della guerra” über die Jahre 1940 bis 1945 in der Stadt Neapel. Ab 1943 leidet Neapel stark an amerikanischen Bombardierungen und in den letzten 4 Tagen des Septembers des selben Jahres, den sogenannten 4 Tagen von Neapel, wird Neapel sich als erste Stadt Europas ohne Fremdhilfe von der Unterdrückung des Naziregimes befreien, obwohl Neapel zu der Zeit den Hauptstützpunkt der Wehrmacht darstellte. In dem ausgewählten Auszug von Sergio Lambiase wird unterstrichen das der Golf von Neapel wohl selbst für die Wehrmacht ein besonderes Ziel gewesen sei und wie der Aufenthalt von ihnen erlebt worden könnte.

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Goethe und das Blutwunder des Sankt Januarius

“Hier wissen die Menschen gar nichts voneinander, sie merken kaum, daß sie nebeneinander hin und her laufen; sie rennen den ganzen Tag in einem Paradiese hin und wider, ohne sich viel umzusehen, und wenn der benachbarte Höllenschlund zu toben anfängt, hilft man sich mit dem Blute des heiligen Januarius, wie sich die übrige Welt gegen Tod und Teufel auch wohl mit – Blute hilft oder helfen möchte.”

Johann Wolfgang von Goethe, Neapel, 1787

Sankt Januarius auf einem Bild mit den zwei Blutampullen

Goethe war einer der größten Schriftsteller und Dichter der Geschichte Deutschlands und ist auch international anerkannt. Goethe reist im Alter von 37 Jahren im Jahr 1786 über etwa 2 Jahre bis 1788 das erste Mal nach Italien. Die Epoche ist sehr glücklich für Neapel, die unter Karl III und Ferdinand IV einige interessante Reformen hervorgebracht und durch die wiedergefundenen antiken Stätten von Pompeji und Herkulaneum europaweit große Neugier erweckt hat. Neapel war damals nach Paris zweitgrößte Stadt Europas, der revolutionäre Geist der französischen Revolution war noch nicht ausgebrochen.

Dieser kurze Aufschnitt befaßt sich mit dem Blutwunder des neapolitanischen Schutzpatrons Sankt Januarius (San Gennaro): der Legende nach wurde die Lava des Vesuvs 1631 durch die Büste des heiligen Januarius aufgehalten und wurde erst circa 300 Jahre vorher Schutzpatron von Neapel, anstelle des römischen Dichters und Magiers Vergil. Goethe ist von den vielen Gegensätzen der Stadt überrascht und bezeichnet den Golf von Neapel oft als Paradies – mit höllischen Einflüssen. In Neapel war der Glaube das der Schutzpatron Hilfe gegen den Vesuv bringen könnte weit verbreitet und Goethe scheint es nicht zu überraschen, daß es hier durch das Blut des Sankt Januarius passieren soll.

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Pasolini: Neapel als letztes große Dorf Italiens

„Wie dein Name verrät, bist Du wohl Neapolitaner. Und ich muß wohl, bevor ich mit Deiner Beschreibung beginne, kurz die naheliegende Frage beantworten, warum ich ausgerechnet einen Neapolitaner in Dir sehen möchte.

Ich schreibe Anfang des Jahres 1975, und gerade heute, in dieser Periode, verkörpern die Neapolitaner für mich – auch wenn ich schon seit einiger Zeit nicht mehr in Neapel war – eine Kategorie von Menschen, die mir als konkrete Personen, vor allem aber auch in ihrer Weltanschauung, ungemein sympathisch sind. Sie haben sich nämlich in all diesen Jahren, genauer gesagt, in diesem Jahrzehnt, kaum verändert. Sie sind die alten Neapolitaner, die sie immer gewesen sind, in ihrer ganzen Geschichte. Und das ist mir das Wichtigste, auch wenn ich deswegen in schlimmsten Verdacht geraten kann und zuletzt nur noch als Außenseiter, Verräter und Nichtsnutz dastehe.

Aber was tut das? Mir ist nunmal die Armut der Neapolitaner lieber als der Wohlstand der italienischen Republik, und all die kleinen Komödien – mögen sie auch naturalistisch derb sein -, die man heute noch in den Elendsquartieren Neapels erleben kann, sind mir lieber als alle Komödien im Fernsehen der italienischen Republik.

Mit den Neapolitanern verbindet mich eine extreme Vertrautheit, da wir uns gegenseitig Mühe geben müssen, einander zu verstehen. Neapolitaner nehmen mir jede körperliche Scheu; sie haben in ihrer Unschuld keinerlei Scheu vor mir. Bei Neapolitanern habe ich immer das Gefühl, ihnen etwas beibringen zu können, weil sie ihrerseits wissen, daß sie mir durch ihr Zuhören einen Gefallen tun. Ein ganz ungezwungener Wissensaustausch also. Ich kann einem Neapolitaner unbekümmert sagen, was ich weiß, weil ich vor seinem Wissen einen tiefen, fast mythischen Respekt habe, der trotzdem voller Heiterkeit und ungebrochener Zuneigung ist.

Selbst Betrügereien sind mir eine Art Wissensaustausch. Einmal, während einer sehr gefühlsgeladenen Episode mit einem Neapolitaner, merkte ich plötzlich, wie er mir langsam die Brieftasche herauszog. Ich habe es ihm gesagt – und wir haben uns noch mehr gemocht.

Pasolini kurz vor seiner Ermordung

Ich hätte große Lust, noch seitenlang weiter zu erzählen und aus diesem kleinen Traktat einen Traktat über die Beziehungen zwischen einem norditalienischen Bürger und dem Neapolitaner zu machen. Aber ich will mich vorläufig beherrschen und auf Dich zurückkommen…

Jemand könnte nun einwenden, ein Junge aus dem Volk sei, so wie ich Dich eben beschrieben habe, eine Art Wunder. Stimmt; eigentlich kannst Du nur ein Bürgerkind sein, das aufs Gymnasium geht. Wobei ich Dich allerdings auch für ein Wunder hielte, wenn du Mailander, Florentiner oder, heutzutage, Römer wärest. Aber die Tatsache, daß Du Neapolitaner bist, schließt nicht aus, daß Du als Bürgerkind von innen heraus schön sein kannst. Neapel ist heute die letzte plebejische Metropole, das letzte große Dorf (und zudem auf Grund kultureller Traditionen nicht italienisch im engen Sinne): ein umfassendes historisches Faktum, das die Gesellschaftsschichten einander körperlich und geistig angleicht.

Vitalität war schon immer ein Quell von Herzlichkeit und naiver Gutartigkeit, und in Neapel sind alle voller Vitalität, der Straßenjunge genauso wie der Bürgersohn.“

Pier Paolo Pasolini, 1975

Pier Paolo Pasolini (Bologna, 5. März 1922 – Rom, 2. November 1975) war ein italienischer Dichter, Regisseur, Schriftsteller und einer der bedeutendsten Intellektuellen des italienischen 20. Jahrhunderts. Er wurde bekannt für seine harrsche Kritik an der Kunsumgesellschaft und den bürgerlichen Gewohnheiten, die er gerne als Anpassung und neuen Faschismus beschrieb. Neapels 60er Jahre waren von recht starker Armut bestimmt, die Stadt wurde oft als zu sehr die eigenen Traditionen liebend und als unpassend für das moderne Wirtschaftssystem beschrieben und daher oft kritisiert. Auf Pasolini und andere berühmte Kritiker der Konsumgesellschaft hat Süditalien, aber speziell Neapel, eine besondere Faszination ausgeübt.

Ein schöner Text Pasolinis zur Vitalität, Herzlichkeit und den persönlichen Beziehungen innerhalb der letzten menschlichen Großstadt Italiens.

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Cervantes, Neapel als schönste Stadt

„Er gelangte übers Meer nach Neapel, wo sich zu der Bewunderung, die er, seit er es gesehen hatte, für Rom empfand, jene für Neapel gesellte, eine Stadt, die seiner Meinung nach wie auch der von allen andern, die sie kannten, die schönste Europas und folglich der ganzen Welt war.“

Miguel de Cervantes Saavedra

Miguel de Cervantes Saavedra war ein spanischer Schriftsteller und Autor des Don Quijote und gilt heute als spanischer Nationaldichter. Im Alter von nur 23 Jahren flüchtet er im Jahr 1570 vor einer Strafe von Spanien in die Abruzzen und verbringt bis 1575 einige Jahre im Königreich von Neapel, Griechenland und Tunesien.

Karte von Neapel im 16. Jahrhundert

Die Abruzzen waren Teil der Königreichs von Neapel, das ab dem Anfang des 16. Jahrhunderts ein autonomes Königreich unter der spanischen Krone war und von ausgewählten spanischen adligen Vizekönigen regiert wurde. Cervantes kehrte im Jahr 1575 von Neapel nach Spanien zurück, daher liegt es Nahe das er einige Zeit in Neapel verbracht hatte. Dieser Auszug ist interessant, da sein Aufenthalt lange vor den berühmten Reisenden der Grand Tour stattfand, Neapel nicht die Größe des 17. und 18. Jahrhunderts erreicht hatte und auch die so beliebt werdenden versunkenen Städte von Pompeji und Herkulaneum noch nicht wiedergefunden wurden.

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