Genieße, o mein Neapel, genieße immer wieder, denn deine Schönheit ist wahrlich nicht zu beschreiben. Wie oft habe ich beim Studium deiner blutigen Geschichte die gierigen Schatten der vielen verflucht, die ihr Leben riskierten und verloren, um dich zu besitzen; doch jetzt, aus der Höhe dieses glutheißen Felsens, verzeihe ich ihnen und beweine sie. Genieße, genieße in deinem Bett aus Algen und Feuer, o wunderschöner Salamander. Cuma, Baia und Misenum fielen unter dem Donner des Solfatara und den Erschütterungen des furchterregenden Typheus, doch ihre Schönheit kam deiner nicht gleich. Zwar starben das rosarote Pompeji und das braune Herkulaneum unter der Wut deines Vesuv, doch dieser Vesuv sieht dich an und seufzt; auch er muß dich lieben, du bist allzu schön.
Renato Fucini, 1877
Renato Fucini (1843-1921) war ein italienischer Dichter und Schriftsteller, der vor allem seine Heimatsregion Toskana beschrieben hat. Im Jahr 1877 debuttiert er mit einer Prosa über Neapel und die Umgebung mit dem Namen “Neapel mit nackten Augen: Briefe an einen Freund”. Dieser Ausschnitt scheint eine italienische Version eines Grand-Tour-Reisenden, der sich in die Sicht vom Vesuv auf den Golf von Neapel verliebt und seine Gefühle zu Neapel in einen Text ausdrückt, die fast einem Gedicht gleichen.
Weitere Berichte und Zitate über Neapel und die Region findet ihr in meinem Blog.