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Events, Ausstellungen und News

SplendOri – Sonderausstellung 2019 zum Thema Schmuck im antiken Herkulaneum

Im wiedereröffneten Antiquarium in den Ausgrabungen von Herkulaneum findet vom 20. Dezember 2018 bis zum 30. September 2019 die Ausstellung SplendOri. Der Luxus im Schmuck in Herkulaneum statt.

Die Ausstellung SplendOri
Goldenes Armband aus Herkulaneum

Die Ausstellung SplendOri ist ein Einblick in ein erlebtes Leben der Antike. Dem Besucher soll gezeigt werden, wie in einer antiken römischen Stadt Kampaniens der Luxus und Reichtum auf verschiedenster Weise im Alltag ausgelebt wurde. In den Schaukästen sieht man sowohl Goldschmuck als auch künstlerische Schmuckstücke aus dem Alltagsleben der verschiedenen Bevölkerungsschichten. In diesem Kontext werden auch Geschäfts- und Hauseinrichtungen mit ihren Utensilien eingerichtet, in dem sich die antike Bevölkerung Herkulaneums den Mitbewohnern und Besuchern gezeigt hat.

Schmuckverarbeitung am Golf von Neapel

Eine Sammlung aus 200 Schmuckstücken, raffinierten und wertvollen Wohnungsdekorationen und einzigartigem Essgeschirr werden dem Publikum auf ihrem Fundort präsentiert. Die Besitztümer der antiken Bevölkerung aus Herkulaneum wurden sowohl in ihren Wohnungen als auch auf den Fluchtorten der antiken Stadt gefunden. Die Kollaboration mit Pompeji und dem archäologischen Museum von Neapel war in dieser Hinsicht wichtig, da ein Teil der zusammengestellten Sammlung von ihnen als Leihgabe zur Verfügung gestellt wurde. Unter anderem sind zum Beispiel der Silberschatz aus Moregine als auch die Arbeitswerkzeuge einer Schmuckwerkstatt von Pompeji. Die Ausstellung wurde vom besten Schüler der Schmuckdesign-Schule aus Torre del Greco eröffnet, um auf die weiterhin vorhandene Schmucktradition im vesuvianischen Gebiet zu unterstreichen.

Splendori – Der Luxus im Schmuck in Herkulaneum
  • Wo: Ausgrabungen von Herkulaneum, Corso Resina 1, Ercolano
  • Wann: vom 20. Dezember 2018 bis zum 30. Septmeber 2019
  • Öffnungszeiten: Jeden Tag von 8.30-18 Uhr, ab dem 1. April Zutritt bis 19.30 Uhr.
  • Eintritt: 11€, reduziert 5.50€, Kinder und Jugendliche bis 18 haben Eintritt frei.
  • Informationen: Scavi di Ercolano, Mail: pa-erco@beniculturali.it, Tel 00390817777008

Weitere Infos über Events, Ausstellungen und News in Neapel und Kampanien findet ihr in meinem Blog.

 

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Neapel und Kampanien in der Literatur

Fucini und seine Liebe zu Neapel

Genieße, o mein Neapel, genieße immer wieder, denn deine Schönheit ist wahrlich nicht zu beschreiben. Wie oft habe ich beim Studium deiner blutigen Geschichte die gierigen Schatten der vielen verflucht, die ihr Leben riskierten und verloren, um dich zu besitzen; doch jetzt, aus der Höhe dieses glutheißen Felsens, verzeihe ich ihnen und beweine sie. Genieße, genieße in deinem Bett aus Algen und Feuer, o wunderschöner Salamander. Cuma, Baia und Misenum fielen unter dem Donner des Solfatara und den Erschütterungen des furchterregenden Typheus, doch ihre Schönheit kam deiner nicht gleich. Zwar starben das rosarote Pompeji und das braune Herkulaneum unter der Wut deines Vesuv, doch dieser Vesuv sieht dich an und seufzt; auch er muß dich lieben, du bist allzu schön.

Renato Fucini, 1877
Erstes Prosa-Werk Fucinis: Napoli a occhio nudo

Renato Fucini (1843-1921) war ein italienischer Dichter und Schriftsteller, der vor allem seine Heimatsregion Toskana beschrieben hat. Im Jahr 1877 debuttiert er mit einer Prosa über Neapel und die Umgebung mit dem Namen “Neapel mit nackten Augen: Briefe an einen Freund”. Dieser Ausschnitt scheint eine italienische Version eines Grand-Tour-Reisenden, der sich in die Sicht vom Vesuv auf den Golf von Neapel verliebt und seine Gefühle zu Neapel in einen Text ausdrückt, die fast einem Gedicht gleichen.

Weitere Berichte und Zitate über Neapel und die Region findet ihr in meinem Blog.

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Gastronomie in Kampanien

Der Pomodorino del Piennolo del Vesuvio DOP

Auf dem gesamten vesuvianischen Gebiet werden die berühmten Tomaten Pomodorino del Piennolo (auch pomodorini da serbo, spongilli oder corbarini – nach einer gleichnamigen Lokalität auf den Monti Lattari – genannt) angebaut. Sie werden das ganze Jahr über aufbewahrt, indem sie wie Korallenketten an den Wänden oder an den Decken, oft neben Knoblauch- und Zwiebelkränzen, in charakteristischen Bündeln “piennoli” aufgehängt werden. Mit ihnen kann die neapolitanische Küche zu jeder Jahreszeit ihre Gerichte mit den Farben, Düften und Gewürzen des Sommers unterstreichen.

Besonderheiten der Piennolo-Tomate

Die Diminuitivform soll nicht täuschen: es handelt sich in Wirklichkeit um eine besondere Tomatensorte, die eine kleine runde Form, eine dicke und fleischige Schale und ein charakteristiches spitzes Ende (o’pizzo) hat. Sie wächst auf den ziemlich trockenen Böden der Hügel, denen sie ihren charakteristischen süß-säuerlichen Geschmack verdankt und sind das Ergebnis der besonders starken Konzentration von Steinsalz und Zucker. Diese Tomatensorte ist reich an Vitamin A und C (hervorragend um Krebs zu vermeiden) und Mineralsalzen wie Calcium, Kalium und Phosphor, die das Herz und die Muskulatur unterstützen, sowie Lycopin, das eine Antioxidane Wirkung hat und die Enzymsproduktion fördert.

Erkennungszeichen der DOP der Piennolo Tomate vom Vesuv

Die Ernte und das Aussehen

Sie werden in traubenförmigen Bündeln und noch sauer im Sommer geerntet und aufbewahrt, indem sie mit einer Schnur kreisförmig zusammengebunden werden. Die Tomaten reifen dann langsam, äußerlich trocknen sie, aber im Inneren bleiben sie immer sehr saftig. Sie nehmen eine intensiv rote Farbe an und verbessern ihre Qualität mit der Zeit immer mehr, wodurch sie die charakteristischen Geschmacksvarianten des Sommers sogar zur Weihnachtszeit ermöglichen, wenn sie zum Beispiel die traditionellen Fischgerichte des Heiligen Abends verfeinern. Die Piennolo-Tomaten wurden auch im 18. Jahrhundert bereits in den berühmten Weihnachtskrippen in Neapel dargestellt und sind daher eine anerkannte und traditionelle Zutat der neapolitanischen Küche. Der „Pomodorino del Piennolo del Vesuvio DOP“ wird seit 2009 als DOP von der EU anerkannt und geschützt.

Die Piennolo Tomate mit Paccheri, neapolitanischen Nudeln.

Die Verwendung in der Küche

Selbst die Verarbeitung bzw. Zubereitung dieser kleinen Tomaten ist in der neapolitanischen Küche ganz eigentümlich. Sobald man sie vom Bündel “piennolo” abbricht, werden sie einzeln gewaschen und zwischen Daumen, Zeige- und Ringfinger zerquetscht. Dem Saft, der dabei austritt, fällt die heikle Rolle zu, das zu bereitende Gericht zu aromatisieren. Die äußere Schale hingegen soll es mit würzigen und fleischigen, feuerroten Pinselstrichen farblich bereichern. Ausserdem wird sie in der lokalen Küche auch gerne zur Zubereitung von Pizza, Fischsoßen, Bruschetta oder Pastasoßen verwendet.

Die sogenannte piennolo tomate vom vesuv

Produktion und Aufbewahrung

Das Gebiet der Produktion und Konservierung der Piennolo-Tomate ist der Nationalpark des Vesuvs, der stark an den Besonderheiten dieser Tomatensorte durch den besonderen Boden und den pedoklimatischen Voraussetzungen gebunden ist und eine einzigartige Qualität hervorbringt. Die für die Aufbewahrung angewandte angewandte Sorgfalt beruht auf völlig natürlichen Grundsätzen, ist allerdings von größter Bedeutung. Der Aufbewahungsort muß gut gelüftet sein und die zu stark und direkt auf die Schale einfallenden Sonnenstrahlen müssen auf jeden Fall vermieden werden, indem man sie zum Beispiel mit Asche bedeckt. So können diese Tomaten auch bis zu 7-8 Monate ohne moderne Konservierungstechnologien aufbewahrt werden. Die Konservierung in Glasbehältern ist auch von den Bestimmungen der DOP geschützt und wird im Volksmund “a pacchetelle” genannt.

Weitere Infos findet Ihr in meinem Blog zur Gastronomie in Kampanien

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Die Geschichte Kampaniens und Neapels

Plinius der Jüngere: der zweite Brief an Tacitus

Auf Anfrage von Tacitus erzählt Plinius der Jüngere auch seine persönlichen Erfahrungen vom Ausbruch des Vesuvs. Plinius gibt seiner Berichterstattung mit großer Bescheidenheit keinen besonderen Wert, aus heutiger Sicht ist der zweite Brief aber kaum weniger spannend als der erste, denn das Kap Misenum liegt auf etwa 30 Kilometer Entfernung vom Vesuv und der Bericht klärt uns somit über die Auswirkungen des Ausbruchs auf weiterer Entfernung auf.

Hinzu kommt, daß Kap Misenum entgegen der Windrichtung gelegen war und somit die Gegend im Inland und im Süden des Vesuvs weiteraus stärker betroffen gewesen sein mußte als der relativ sicher gelegene Militärhafen im Nordwesten von Pozzuoli. Ein beeindruckender Bericht über erlebte Furcht, Erdbeben, einbrechende Nächte, Ascheregen und rollende Wagen vom nordwestlichen Ende des Golfs von Neapel.

EPISTULAE VI, 20

„C. Plinius grüsst seinen Tacitus

Du schreibst mir, der Brief, in welchem ich Dir auf Deinen Wunsch vom Tod meines Onkels berichtet habe, wecke in Dir das Verlangen zu erfahren, welche Ängste, welche Gefahren ich, in Misenum zurückgeblieben, ausgestanden habe; denn als ich darauf zu sprechen kam, habe ich abgebrochen. Sei’s denn, wie sehr auch die Erinnerung mir die Seele schaudernd mag empören!

Als mein Onkel fort war, verwendete ich den Rest des Tages auf meine Studien (weswegen ich ja daheimgeblieben war); dann Bad, Abendessen, kurzer, unruhiger Schlaf. Vorangegangen waren mehrere Tage lang nicht eben beruhigende Erdstösse – Kampanien ist ja daran gewöhnt –; in jener Nacht wurden sie aber so stark, dass man glauben musste, alles bewege sich nicht nur, sondern stehe auf dem Kopfe. Meine Mutter stürzte in mein Schlafzimmer, ich wollte gerade aufstehen, um sie zu wecken, falls sie schliefe. Wir setzten uns auf den Vorplatz des Hauses, der in mässigem Abstand das Meer von den Gebäuden trennte.

Ich weiss nicht, ob ich es Gleichmut oder Unüberlegtheit nennen soll (ich war ja erst 18 Jahre alt); ich lasse mir ein Buch des Titus Livius bringen, lese, als hätte ich nichts Besseres zu tun, exzerpiere auch, wie ich begonnen hatte. Da kommt ein Freund meines Onkels, der kürzlich bei ihm aus Spanien eingetroffen war, und als er mich und meine Mutter dasitzen sieht, mich sogar lesend, schilt er ihre Gleichgültigkeit, meine Unbekümmertheit; trotzdem blieb ich bei meinem Buche.

Es war bereits um die erste Stunde, und der Tag kam zögernd, sozusagen schläfrig herauf. Die umliegenden Gebäude waren schon stark in Mitleidenschaft gezogen, und obwohl wir uns auf freiem, allerdings beengtem Raum befanden, hatten wir eine starke und begründete Furcht, dass sie einstürzen könnten.

Jetzt schien es uns ratsam, die Stadt zu verlassen. Eine verstörte Menschenmenge schliesst sich uns an, lässt sich – was bei einer Panik beinahe wie Klugheit aussieht – lieber von fremder statt von der eigenen Einsicht leiten und stösst und drängt uns in endlosem Zuge mit sich fort.

Als wir die Häuser hinter uns hatten, blieben wir stehen. Da sahen wir allerlei Sonderbares, Beklemmendes geschehen. Die Wagen, die wir hatten herausbringen lassen, rollten hin und her, obwohl sie auf ganz ebenem Terrain standen, und blieben nicht einmal auf demselben Fleck, wenn wir Steine unterlegten. Ausserdem sahen wir, wie das Meer sich in sich selbst zurückzog und durch die Erdstösse gleichsam zurückgedrängt wurde. Jedenfalls war der Strand vorgerückt und hielt zahllose Seetiere auf dem trockenen Sande fest. Auf der anderen Seite eine schaurige, schwarze Wolke, kreuz und quer von feurigen Schlangenlinien durchzuckt, die sich in lange Flammengarben spalteten, Blitzen ähnlich, nur grösser. Da drängte wieder der Freund aus Spanien heftiger und dringender: „Wenn dein Bruder, dein Onkel noch lebt, möchte er auch euch lebend wiedersehen; ist er tot, war es gewiss sein Wunsch, dass ihr am Leben bliebet. Was säumt ihr also, euch zu retten?“´ Wir erwiderten, wir könnten es nicht über uns gewinnen, an uns zu denken, solange wir über sein Schicksal im ungewissen seien. Er liess sich nicht länger halten, stürzte davon und entzog sich im gestreckten Lauf der Gefahr.

Schauderndes Bild: Ascheregen und einkehrende Dunkelheit am Tage

Nicht lange danach senkte sich jene Wolke auf die Erde, bedeckte das Meer, hatte bereits Capri eingehüllt und unsichtbar gemacht, hatte das Kap Misenum unseren Blicken entzogen. Da bat und drängte meine Mutter, befahl mir schliesslich, mich irgendwie in Sicherheit zu bringen; ich als junger Mann könne es noch, sie, alt und gebrechlich, werde ruhig sterben, wenn sie nur nicht meinen Tod verschuldet habe. Ich dagegen: ich wolle nur mit ihr zusammen am Leben bleiben; damit fasste ich sie bei der Hand und nötigte sie, ihre Schritte zu beschleunigen. Widerstrebend fügte sie sich und machte sich Vorwürfe, dass sie mich aufhalte.

Schon regnete es Asche, doch zunächst nur dünn. Ich schaute zurück: Im Rücken drohte dichter Qualm, der uns, sich über den Erdboden ausbreitend, wie ein Giessbach folgte. „Lass uns vom Wege abgehen“, rief ich, „solange wir noch sehen können, sonst kommen wir auf der Strasse unter die Füsse und werden im Dunkeln von der mitziehenden Masse zertreten.“ Kaum hatten wir uns gesetzt, da wurde es Nacht, aber nicht wie bei mondlosem, wolkenverhangenem Himmel, sondern wie in einem geschlossenen Raum, wenn man das Licht gelöscht hat. Man hörte Weiber heulen, Kinder jammern, Männer schreien; die einen riefen nach ihren Eltern, die anderen nach ihren Kindern, wieder andere nach ihren Männern oder Frauen und suchten sie an den Stimmen zu erkennen; die einen beklagten ihr Unglück, andere das der Ihren, manche flehten aus Angst vor dem Tode um den Tod, viele beteten zu den Göttern, andere wieder erklärten, es gebe nirgends noch Götter, die letzte, ewige Nacht sei über die Welt hereingebrochen. Auch fehlte es nicht an Leuten, die mit erfundenen, erlogenen Schreckensnachrichten die wirkliche Gefahr übersteigerten. Einige behaupteten, in Misenum sei dies und das eingestürzt, anderes stehe in Flammen – blinder Lärm, aber sie fanden Glauben.

Dann hellte es sich ein wenig auf, doch es war anscheinend nicht das Tageslicht, sondern ein Vorbote des nahenden Feuers. Aber das Feuer blieb in ziemlicher Entfernung stehen; es wurde wieder dunkel, wieder fiel Asche, dicht und schwer, die wir, fortgesetzt aufstehend, abschüttelten; wir wären sonst verschüttet und durch die Last erdrückt worden. Ich könnte damit prahlen, dass sich mir trotz der furchtbaren Gefahr kein Seufzer, kein verzagtes Wort entrungen hatte, hätte ich nicht – ein schwacher, aber für uns Menschen immerhin ein im Tode wirksamer Trost – fest geglaubt, ich ginge mit allem und alles mit mir zugrunde.

Endlich wurde der Qualm dünner und verflüchtigte sich sozusagen zu Dampf oder Nebel. Bald wurde es richtig Tag, sogar die Sonne kam heraus, doch nur fahl wie bei einer Sonnenfinsternis. Den noch verängstigten Augen erschien alles verwandelt und mit einer hohen Ascheschicht wie mit Schnee überzogen.

Wir kehrten nach Misenum zurück, machten uns notdürftig wieder zurecht und verbrachten eine unruhige Nacht, schwankend zwischen Furcht und Hoffnung. Die Furcht überwog, denn die Erdstösse hielten an, und viele Leute, wie wahnsinnig von schreckenerregenden Prophezeiungen, witzelten über ihr und der anderen Unglück. Wir konnten uns, obwohl wir die Gefahr aus eigener Erfahrung kannten und weiter auf sie gefasst waren, nicht entschliessen wegzugehen, ehe wir nicht Nachricht von meinem Onkel hatten.

Dies alles gehört gewiss nicht in ein Geschichtswerk, und so wirst Du es lesen, ohne Gebrauch davon zu machen; aber Du hast ja danach gefragt und hast es somit Dir selbst zuzuschreiben, wenn es Dir nicht einmal einen Brief zu verdienen scheint.

Leb wohl!“

Lesen Sie auch den ersten Brief von Plinius dem Jüngeren auf meinem Blog.

Weitere Infos finden Sie in meinem Blog zur Geschichte Neapels und Kampaniens

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Neapel und Kampanien in der Literatur

Anton Tschechow auf dem Vesuv

Anton Tschechow, An die Familie, Neapel, 7. April 1891

„Gestern war ich in Pompeji und habe es besichtigt. Das ist, wie ihr wißt, eine römische Stadt, die im Jahre 79 n. Chr. Geb. von der Lava und Asche des Vesuvs verschüttet wurde. Ich ging durch die Straßen dieser Stadt und sah die Häuser, Tempel, Theater, Plätze…Ich sah sie und staunte über das Vermögen der Römer, Einfachheit mit Bequemlichkeit zu verbinden.

Nach der Besichtigung von Pompeji aß ich in einem Restaurant, danach beschloß ich, den Vesuv zu besteigen. Stark befördert hatte diesen Entschluß der ausgezeichnete Rotwein, den ich getrunken hatte. Bis zum Fusse des Vesuvs mußte man reiten. Aus diesem Grunde fühlte ich mich an einigen Stellen meines vergänglichen Körpers so, als wäre ich in der dritten Abteilung gewesen und dort verprügelt worden. Was für eine Qual, den Vesuv zu besteigen!

Der Vesuv und Torre Annunziata auf einer Postkarte, 1891

Asche Lavaberge, erstarrte Wellen geschmolzener Mineralien, Gesteinsbrocken und aller möglicher Dreck. Man tut einen Schritt vorwärts – und einen halben Schritt zurück, die Fußsohlen tun einem weh, das Atmen wird schwer…Man geht, geht, geht, aber bis zum Gipfel ist es noch weit. Man denkt: solltest du nicht lieber umkehren? Aber umzukehren wäre peinlich, die andern würden einen ja auslachen. Der Aufstieg begann um Zwei ein Halb Uhr und endete um Sechs.

Der Krater des Vesuvs hat einige Sazen im Durchmesser. Ich stand an seinem Rand und sah hinunter wie in eine Tasse. Der Boden, ringsum mit einem Anflug von Schwefel bedeckt, raucht stark. Aus dem Krater quillt weißer, stinkiger Rauch, fliegen Spritzer und glühende Steine, und unter dem Rauch liegt Satan und schnarcht. Ein ziemlich vermischtes Geräusch: man hört die Brandung von Wellen, hört den Himmelsdonner, das Pochen von Eisenbahnschwellen und das Krachen fallender Bretter. Es ist furchterregend, und zugleich möchte man hinunterspringen, direkt in den Schlund. Ich glaube jetzt an die Hölle.“

Anton Pawlowitsch Tschechow war ein russischer Schriftsteller, Novellist und Dramatiker und einer der bedeutendsten Autoren der russischen Literatur.

In diesem Brief beschreibt Tschechow den in jener Zeit noch aktiven Vesuv, der eine sehr irreguläre Aktivität hatte. Eine interessante Zeitaufnahme über die Anstrengungen, die die Besucher auf sich genommen haben um die Faszination des aktiven Vulkans zu erleben und die Auswirkungen auf Tschechow, die in ihm eine Mischung aus Anziehung und Furcht auslösen. Ob nicht auch der intensive lokale Wein teilweise bei seinen Gefühlen mitgewirkt haben könnte?

Weitere Berichte und Zitate über Neapel und die Region findet ihr in meinem Blog.